03.12.2021

 

 

Wölfe

mitten im Mai

 

 

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Wie sehr einer fehlt, merkt man in Zeiten wie diesen, wo der Wahn mal wieder über den Verstand zu triumphieren scheint. Franz-Josef Degenhardt der heute 90 Jahre alt geworden wäre, kam aus einer Generation die das Menschenverachtende im Mantel verquerer Allmachtsphantasien nicht nur vom Hörensagen her kannte. Das prägte ihn, seine Haltung, seine Lieder bis zum Ende.

 

„August der Schäfer hat Wölfe gehört,
Wölfe mitten im Mai […]

Da haben die Greise zahnlos gelacht,
gezischelt: Wir haben’s gleich gesagt.
Düngt die Felder wieder mit altem Mist,
sonst ist alles Mist – sonst ist alles Mist. […]

So sang der verschmuddelte Bauchladenmann
und pries Amulett aus Wolfszähnen an. […]

wenn von den Bergen das Feuerrad springt,
die Touristenschar fröhlich das Fraßlied singt.”

 

» Meine erste Begegnung mit Degenhardt war ein gemeinsames Konzert im Mannheimer Rosengarten 1972. Da war ich der jugendliche Rebell, der punkmäßig in die Gitarre drosch und die Revolution beschwor, bis die Saiten rissen, und er war schon der Erzähler, der uns mit seiner gelassenen Überzeugung in den Bann zog. Das letzte Gespräch war, als er mich 2008 nach meiner neuen Solo-CD anrief, um mir erst mal für mein jahrelanges „Politisch-musikalisches-aus-der-Welt-Sein” den Kopf zu waschen, dann aber auch, um mir zu dieser CD zu gratulieren.

Es gab nicht viele persönliche Begegnungen, unsere Auftrittswelten waren zu verschieden, und doch war er mir ein guter Bekannter, Vertrauter, in dessen Liedern ich versank, auf der Suche nach der Magie seiner Worte, nach dem Wesentlichen seiner künstlerischen Arbeit. Wenn ein deutscher Liedermacher mich nachhaltig geprägt hat, dann war er es, immer wissend, dass seine Art etwas Unerreichbares sein würde.« schrieb ich 2011 in einem Nachruf.

Den kompletten Text findet ihr in meinem aktuellen Liederbuch (Lieder- und Texte 1990-2020). Im angehängten PDF gibt es einige Beispielseiten aus diesem Buch, das neben einer Auswahl an Liedern und Texten auch einen vielschichtigen Rückblick auf die widerständige Kultur in den zurückliegenden 30 Jahren enthält.

 

 

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Bernd Köhler

...knistert, furzt im Parlament

 

 

Abgefangen, aufgeflogen -
Volk beschissen, Volk betrogen.
Knistert, furzt im Fundament
Bis irgendwo ein Kittel brennt.

Kopfgeldjäger auf den Strassen
hächeln gierig - lassen fassen.
Einer wird herausgedeutet
wird zum Fraße überlassen.

Einer aus dem Mittelbau
selten schlau - dumm gelaufen.
Bauernopfer eins, zwei, drei
in paar Jahr'n – wieder dabei.

 

Namen kommen - Namen gehn.
Pärchenbildung kann man sehen
Rudel, die sich selbst zerfleischen,
Keller voller alter Leichen.

Alte Säcke - neue Fräcke,
kopulieren, koalieren.
Bildschirmtanten präsentieren
und hofieren Präsentanten.

Wölfe heulen und Hyänen
streiten sich ums frische Aas.
Wer nicht mitfrisst, wird gefressen
kommentiert wird, wer, wen, wann, fraß.

 

Hommage – Franz-Josef Degenhardt
2015
Auf der CD „In dieser Strasse”
, 2015